Petra Klingler - Red Bull - Kletterszene - Interview -

Wer bei Olympia in Tokio mithalten will, muss alle drei Disziplinen beherrschen – Petra Klingler, Shauna Coxsey und Jessica Pilz im Interview

Bisher haben sich die meisten Profikletterer auf eine der drei Disziplinen ihres Sports spezialisiert. Doch im Zuge der Aufnahmebedingungen zur Olympiade haben das IOC und die IFSC ein neues Kombinationsformat beschlossen. Es hat die Athleten dazu gezwungen, in wenigen Jahren Kletterdisziplinen zu erlernen, die sie zuvor noch nie probiert hatten, von Wettkämpfen gar nicht zu reden!

Einen Kletterer zu finden, der sowohl das Bouldern als auch Lead auf internationalem Topniveau beherrscht, ist nicht mehr ganz so selten wie noch vor ein paar Jahren. Wenn dann noch Speed hinzukommt, wird das Teilnehmerfeld schon sehr klein. Um den Klettersport in seiner ganzen Vielfalt zu zeigen, haben die dafür Verantwortlichen dennoch beschlossen das neue Dreikampfformat einzuführen. Bei großen Wettbewerben wie der Weltmeisterschaft werden die Sieger seitdem in einer Gesamtwertung aus allen drei Disziplinen gekürt. Einige Sportler mussten sich daher innerhalb kürzester Zeit zu „Spezialisten“ für Disziplinen entwickeln, die sie zuvor noch nie ausgeübt hatten.

Das Klettern ist in den letzten Jahren immer populärer geworden, was sich auch in dem gewaltigen Kinoerfolg von Dokumentationen wie The Dawn Wall oder des Oscargewinners Free Solo widerspiegelt. Dabei ist Klettern als Wettkampfsport erst 35 Jahre alt. Davor hatte man es nur als extremes Hobby betrachtet, betrieben von einer Handvoll von Draufgängern ohne Respekt für die Schwerkraft und dem eigenen Leben. Heute schätzt der internationale Dachverband für das Wettkampfklettern, die International Federation of Sport Climbing (IFSC), dass es weltweit 38 Millionen Kletterer gibt. Ihre Zahl ist in den letzten fünf Jahren um 12 % gestiegen.

Wir haben uns zu dieser Entwicklung mit Jessica PilzPetra Klingler und Shauna Coxsey unterhalten. Sie sprechen über den Aufstieg des Klettersports, seine drei Disziplinen und warum der neue Dreikampf so ähnlich ist, als würde man Usain Bolt einen Marathon und dann einen Eierlauf absolvieren lassen.

Shauna, du hast das neue Wettkampfformat für Tokio mit einem Rennen verglichen, bei dem Usain Bolt erst einen Marathon rennen und dann einen Eierlauf absolvieren muss. Warum?

Die Kombination verlangt von uns Sportlern, dass wir etwas Neues machen, das uns nicht vertraut ist. Alle drei Disziplinen sind zwar Klettern, aber unterscheiden sich auch sehr voneinander.

Wie hart musst Du trainieren Shauna um Chancen auf eine Goldmedaille zu haben und musstest du deine Trainingsmethoden arg ändern?

Für meine Trainer und mich ist es eine echte Herausforderung, alle drei Disziplinen zu trainieren. Die Kombination gab es zuvor noch nicht. Die Kletterer in aller Welt geben ihr Bestes, um das effektivste Training dafür zu finden. Das ist ein interessanter Prozess. Das Training hat sich verändert, und das ist eine willkommene Änderung, weil sie frischen Wind hineinbringt.

Mit welcher der drei Kletterdisziplinen kommst du Jessica am wenigsten zurecht und warum?

Jessica Pilz: Das Speedklettern ist definitiv die Disziplin, in der ich mich am wenigsten zu Hause fühle. Ein Grund dafür ist sicher, dass ich erst vor zwei Jahren damit begonnen habe und mir daher die Erfahrung fehlt.

Wie hart hast du das Speedkletterntrainiert, um deine Chancen auf die Goldmedaille zu bewahren?

Jessica Pilz: Das Training für Lead und Bouldern war leicht zu kombinieren. Es sind ähnliche Trainingsinhalte, die sich gegenseitig ergänzen. Bei längeren Bouldern ist es beispielsweise vorteilhaft, wenn man eine gute Ausdauer hat – nicht nur für diese eine Aufgabe, sondern auch, um sich zwischen den Versuchen schneller zu erholen. Im Lead hat sich der Stil der Routen in den letzten Jahren sehr verändert. Die Bewegungen sind kraftvoller geworden. Sprünge und koordinierte Bewegungen sind heutzutage häufiger. Das Speedklettern ist wiederum etwas völlig anderes. Da geht es mehr um Athletik als um Klettern. Die Speedspezialisten machen viel Beintraining. Das braucht man sonst beim Klettern eigentlich weniger. Für das Speedklettern versuche ich daher, so schnell wie möglich zu sein, indem ich in der Route trainiere, indem ich die schnellste Route suche, auf der ich am besten zurechtkomme, und indem ich mir die Route so gut wie möglich einpräge, um Fehler während des Kletterns zu vermeiden.

 
Und welche Disziplin ist für dich, Petra,die Schwierigste?

Petra Klingler: Für mich besteht die Herausforderung darin, diese drei Disziplinen im Training richtig zu gewichten. Dabei ist für mich persönlich das Leadklettern die schwierigste Disziplin. Ich habe einen eher kraftvollen Stil. Das bringt Vorteile im Speedklettern und Bouldern. 

 

Shauna, worauf bist du beim Debüt des Kletterns bei den Olympischen Spielen besonders gespannt?

Ich möchte wirklich herausfinden, was mein Körper kann. Ich will physisch stark sein, aber auch schnell genug, um mit den Besten mithalten zu können. Ich liebe Training und Wettkämpfe. Es ist spannend zu sehen, wie weit ich gehen kann.

Welche Auswirkungen werden diese Faktoren eurer Meinung nach in Tokio auf das Klettern haben?

Jessica Pilz: Es gibt viel Positives, aber auch Negatives. Wir Athletinnen müssen Verletzungen vermeiden, weil die Intensität bei drei Disziplinen im Training viel höher ist. Damit steigt auch die Gefahr von Verletzungen. Der Vorteil ist, dass die Verbände und Sportlerinnen mehr Unterstützung vom Staat und von Sponsoren erhalten. Ich habe schon von vielen Sportlern aus aller Welt gehört, dass ihre Reisen zu Weltcups jetzt endlich bezuschusst werden oder sie sich ein Trainingscamp im Ausland leisten können.

Petra, warum sollte man den Fernseher einschalten, wenn die Kletterwettkämpfe in Tokio beginnen?

Klettern ist ein großartiger Sport, und zwar aus vielen Gründen. Die Leistungen der Athleten sind unglaublich. Aber jeder kann diesen Sport leicht erlernen. Man kann in jedem Alter damit anfangen. Das macht auch das Zuschauen viel interessanter. Aber selbst, wenn man noch nie geklettert ist, kann man die Schwierigkeiten der Routen leicht nachvollziehen. Auf einen großen Reifen oder ein Spielgerät auf dem Spielplatz ist schließlich jeder schon einmal geklettert. Daher weiß auch jeder, welche Bewegungen schwierig und welche Stellen schwer zu erreichen sind. Die drei Disziplinen zeigen alle Aspekte des Kletterns. Aber besonders die dynamischen Bewegungen und die Emotionen, welche die Athleten zeigen, wenn sie Erfolg haben, sind unglaublich.

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Video-Link: https://youtu.be/s_lcoizpvNw
    Text: Petra Klingler, Shauna Coxsey, Jessica Pilz, Red Bull,  Kletterszene Foto: Red Bull Contentpool
  • Beitragsdatum 15. November 2019