Mehr Rettungseinsätze, aber weniger Tote und Verletzte [ DAV BERGUNFALLSTATISTIK 2010/2011]

Drei Haupttrends kennzeichnen die Bergunfallstatistik des DAV: Erstens geht die Quote der Unfälle mit Toten und Verletzten im Bergsport leicht zurück, während die Quote für Notfälle, bei denen unverletzte Bergsportler geborgen werden, steigt. Zweitens unterscheiden sich die Zahlen und Trends in den einzelnen Disziplinen. Auffallend ist insbesondere, dass die Rettungseinsätze beim Klettersteiggehen und beim Pistenskilauf stark zunehmen. Drittens zeigt sich schließlich einmal mehr sehr deutlich, dass Bergsportler umso weniger von Unfällen und Notfällen betroffen sind, je mehr Erfahrung sie haben.

Die Quote der Unfälle im Bergsport sinkt
Grundlage der DAV-Unfallstatistik sind Unfälle und Notfälle, die die Mitglieder der DAV-Versicherung melden. Anders als bei den Jahresberichten der Rettungsinstitutionen kann man die Unfallzahlen des DAV also auf eine klar definierte Personengruppe beziehen, nämlich auf den Mitgliederstand. Dementsprechend kann man aus der DAV-Unfallstatistik herauslesen, wie riskant Bergsport ist und wie sich dieses Risiko in den letzten 60 Jahren entwickelt hat – seit 1952 erhebt der DAV Unfallzahlen. Ein Gradmesser für das Risiko im Bergsport ist die Unfallquote, also die Anzahl der Unfälle und Notfälle geteilt durch die Mitgliederzahl.

Die Quote für tödlich verunfallte Mitglieder nimmt seit Beginn der DAV-Unfallstatistik im Mittel stetig ab. Obwohl sich der Mitgliederstand seit 1952 mehr als verneunfacht hat, waren 2011 mit 45 Opfern etwa so viele tödlich Verunfallte zu beklagen wie 1952, als 43 DAV-Mitglieder in den Bergen ums Leben kamen. Die Quote der gemeldeten Unfälle und Notfälle insgesamt ging von den fünfziger Jahren bis in die achtziger Jahre hinein deutlich zurück, steigt aber seit Mitte der neunziger Jahre aber wieder an. Allerdings muss man dies genauer betrachten: Wenn man die gemeldeten Notfälle, bei denen Unverletzte geborgen worden sind, herausnimmt, geht die Unfallquote insgesamt auch in den letzten Jahren zurück – unter der zusätzlichen Bedingung, dass man auch die Unfälle im Pistenbereich und in Pistennähe ausklammert.

Alarmierende Unfallzahlen beim Klettersteiggehen
Alarmierend sind die Unfallzahlen beim Klettersteiggehen. Diese Bergsportdisziplin ist stark im Trend, dementsprechend steigen auch die einschlägigen Notfallmeldungen. Seit 2006 hat sich die Meldequote verdoppelt, seit 2002 hat sie sich verdreifacht. Dabei machen so genannte „Blockierungen“ den Hauptanteil aus – also Notsituationen, in denen die Betroffenen nicht mehr vor und nicht mehr zurück kommen und deshalb gerettet werden müssen. In diesen wie auch in vielen anderen Notsituationen zeigt sich: Klettersteiggeher sind den Gesamtanforderungen des angestrebten Klettersteigs zunehmend nicht gewachsen. Dazu passt, dass bei keiner anderen Disziplin des Bergsports ein so hoher Anteil wenig Erfahrener von Unfällen und Notfällen betroffen ist. Dabei sind die gänzlich Unerfahrenen noch eher vorsichtig, auffällig sind Klettersteiggeher mit 10 bis 30 Tourentagen. Bedenklich ist vor diesem Hintergrund, dass ausgerechnet schwierige und lange Klettersteige immer mehr in Mode kommen. Eine ehrliche Selbsteinschätzung und die entsprechende Auswahl der Tourenziele sind daher besonders wichtig.

Alarmierend klingt auch die Meldequote beim Pistenskilauf, Snowboarden und Freeriden – sie hat sich seit Mitte der 90er Jahre verdreifacht. Allerdings muss das nicht heißen, dass sich die Unfälle im Pistenbereich tatsächlich verdreifacht haben. Eine Rolle beim deutlichen Anstieg der Zahlen könnte auch spielen, dass staatliche Institutionen und Versicherungen immer weniger bereit sind, die Bergekosten zu übernehmen und deshalb die Bergekostenversicherung des DAV immer häufiger in Anspruch genommen wird.

Wandern ist die sicherste sportliche Betätigung in den Bergen
Wie bereits in den Vorjahren machen Wanderunfälle fast ein Drittel (27%) aller Meldungen aus. Es wäre aber falsch, daraus abzuleiten, dass Bergwandern eine besonders gefährliche Bergsportdisziplin wäre. Um das Risiko unterschiedlicher Sportarten zu quantifizieren, muss man berücksichtigen, wie viele Menschen sie ausüben und wie lange. Sportwissenschaftler beziehen dazu die Unfallzahl auf die „Expositionszeit“. Üblicherweise wird die Zahl der Unfälle pro 1000 Stunden Sportausübung angegeben. Unter diesem Aspekt ist Wandern die sicherste sportliche Betätigung in den Bergen.

Interessant ist der Blick auf die Ursachen der Wanderunfälle: Mehr als die Hälfte aller verunglückten Wanderer (52 Prozent) stolpern, knicken um oder rutschen aus, 20 Prozent bekommen körperliche Probleme, allen voran Herz- und Kreislaufprobleme. 20 Prozent aller Notlagen wurden durch Blockierung verursacht. Einmal mehr zeigt sich also, dass eine typische Ursachenkombination für Notfälle in den Bergen auf dem Vormarsch ist – mangelhafte Kondition und Selbstüberschätzung. An der Ausrüstung mangelt es hingegen nicht.

Weniger Unfälle auf einfachen Hochtouren
Die Unfallzahlen bei Hochtouren schwanken von Jahr zu Jahr sehr stark – während 2009 insgesamt 65 Notfälle und Unfälle gemeldet worden sind, waren es 2010 nur 35, 2011 aber wieder 59. Eine Hauptursache für diese Schwankungen sind die sehr unterschiedlichen witterungsbedingten Verhältnisse und die starke Abhängigkeit der Hochtourenaktivitäten davon. Ein schwacher Trend lässt sich aus den Zahlen jedoch herauslesen: Gegenüber dem letzten Berichtszeitraum 2008/2009 nahmen die Unfälle und Notfälle in den Jahren 2010/2011 bei relativen einfachen Hochtouren ab. Sehr wohl unfallträchtig sind allerdings nach wie vor anspruchsvolle Hochtouren (z. B. Biancograt, Matterhorn, Ortler).

Erfahrene Bergsteiger sind weniger gefährdet
Eine der wesentlichen Erkenntnisse aus der Unfallstatistik der letzten Jahre ist der stark ausgeprägte Zusammenhang zwischen der Erfahrung eines Bergsportlers und seinem Unfallrisiko. Generell lässt sich sagen: Je mehr Erfahrung, desto weniger Risiko. Beim Wandern mag dieser Zusammenhang aus naheliegenden Gründen noch wenig ausgeprägt sein. Bei den ausbildungsintensiven technischen Disziplinen Klettern, Skitourengehen und Bergsteigen/Hochtouren zeigt sich allerdings ein signifikant erhöhter Anteil von Unerfahrenen am Unfallgeschehen. Dabei waren vor allem Mitglieder mit weniger als 50 Tourentagen betroffen.

Sicherheit und Ausbildung beim DAV
Erfahrung, Können und Wissen sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Risiken im Bergsport. Deshalb setzt der DAV in erster Linie auf Ausbildung, um die Sicherheit im Bergsport zu verbessern. Mehr als 7.500 ehrenamtliche Fachübungsleiter sind in den 355 Sektionen des DAV aktiv und geben das entsprechende Wissen an die DAV-Mitglieder weiter. Dabei profitieren sie von der Grundlagenarbeit der Sicherheitsforschung des DAV. Diese geht den Unfallursachen im Bergsport nach, analysiert das Verhalten von Bergsportlern, führt regelmäßig Materialtests durch und veröffentlicht die Erkenntnisse.
Beim DAV Summit Club können übrigens auch Nicht-Mitglieder entsprechende Kurse und Touren unter www.dav-summit-club.de buchen.

Datengrundlage der DAV-Bergunfallstatistik
In der DAV-Bergunfallstatistik werden ausschließlich die Unfälle von DAV-Mitgliedern erfasst – unabhängig davon, wo diese Unfälle passieren. Die DAV-Unfallstatistik ist also keine länderspezifische Statistik, sie spiegelt auch nicht das Unfallgeschehen in Deutschland oder in den bayerischen Bergen wieder. Eingang in die Statistik finden nur jene Unfälle, die die Mitglieder an die Versicherung des DAV (Alpiner Sicherheits Service – ASS) melden, um beispielsweise Bergungskosten erstattet zu bekommen. Auf Grund ihres Umfanges und der bereits langjährigen Erhebung liefert die DAV-Berg-unfallstatistik eine sehr gute Grundlage, um Entwicklungen und Tendenzen für den gesamten Bergsport abzulesen und die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen

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Text: DeutscherAlpenVerein. Foto: DAV

  • Beitragsdatum 2. August 2012