Die Geschichte des Kletterschuhs, aus historischer und natürlich völlig objektiver Sicht [Teil 1 & 2]

Teil 1, die Steinzeit (Pleistozän)

bouldermobil

Adidas gibt den Huber-Brüdern viel Geld, damit diese etwas von ihrem wilden Nordwandimage an die Firma aus dem bergfernen Herzogenaurach abtreten. Dabei hat die Firma es nur verschlafen, zu der Zeit, als sie noch Ausrüstung für wilde Nordwandgesichter produziert hat, den legendären Ruf ihrer Artikel in die Aktualität zu retten. Zwei Produkte stießen damals hervor: Ganz Deutschland kleidete sich samstags in diese dunkelblauen, leicht glänzenden Trainingsanzüge mit den drei bekannten Streifen und verlebte den Nachmittag beim Autowaschen und Bundesligahören. Die Jacke leicht offen, drunter Spießer-Feinripp mit Schmudelflecken vom Bier auf dem Bauch und schon ab Werk eingearbeitete Schweißränder an den ärmellosen Achseln. Wildere Nordwandgesichter als diese Kerle an ihren Golfs, Mantas und 3er hat die Firma zum echten Einsatz nie ausgestattet. Auch im Ausland hätte die fränkische Sportschmiede punkten und Image sammeln können. Ganz England kletterte jahrelang in ebenfalls in dunkelblauen oder schwarzen, leicht glänzenden Hosen aus 100% Erdölderivat inklusive Streifen (wenn auch nur einer) in dunkelrot oder weiß. Gab es für 3 Stück von den Englischen Pfündern im Supermarkt auf der Insel. Die elektrostatische Aufladung des Kletterers durch diese Kunststoffhosen führte zu der bekannt modischen Haarkultur der englischen Kletterer und angeblich zu Elmsfeuern beim seltenen Legen von Klemmkeilen im britischen Gritstone. Aber ich schweif ab, es soll ja um Kletterschuhe gehen.

Also definitiv: Adidas baute den ersten guten Kletterschuh; zumindest für mich. Modell „Marathon-Trainer“ in dunkelblau mit diesen martialischen Grobprofilüberständen rund um die Sohle. Der beste Schuh, um an meinem ersten Klettertag das Toprope an der Rumbachplatte in der Pfalz zu überleben. Ausgerüstet mit einem 8mm Hanfseil, das wir auf dem Dachboden des mich begleitenden Kumpels gefunden hatten; ein Buch „Knoten für Fels und Eis“ aus der Stadtbücherei. Bestimmt von Pit Schubert, aber der hätte sich wahrscheinlich die Rumbachplatte runter gestürzt, hätte er unser Seil gesehen und natürlich der „Marathon-Trainer“ von Adidas.


Gut die Sache an der Rumbachplatte war etwas unangenehm, schnitt doch die 8mm-Kordel mächtig unter den Achseln ein, wenn man nach 3 Metern im immerhin fast(!) senkrechten Sandstein mit dicken Armen mal loslassen musste. Am Schuh lag es jedenfalls nicht, dass wir die Sache mit dem Klettern nach diesem ersten Versuch nicht so richtig toll fanden. In den wochenlang zuvor verschlungenen Büchern von Reinhard Karl war das irgendwie anders. Er stieg durch die höchsten und gefährlichsten Wände der Alpen und wir hatten 3 Meter über dem Boden die Hosen voll und das auch noch im Hanfstricktoprope. Am selben Tag dann noch der Nachstieg eines Vierers (einer de wenigen überhängenden Vierer, die ich kenne), der Sprung von einer Felsnadel auf die nächste und 20m Abseilen über einen Überhang. Zwar alles nicht mehr am Hanfstrick, sondern an der „echten Schnur“ eines echten Kletterers, der Mitleid mit unserem Hanfstrick hatte. Aber alles mit dem wilden, nordwandgesichtigen Adidas „Marathon-Trainer“!


Hätte uns einer der Werbstrategen von Adidas am Abend dieses Tages gesehen, hätte die Welt des Sponsorings bei diesem Hersteller eine Neugeburt erlebt. Nordwandgesichtiger kann man gar nicht mehr aus sehen, als wir an diesem Abend.


[Anm. des Autors: Ich will damit nicht zum Ausdruck bringen, dass die Doppelseitenwerbung von Adidas nur angsterfüllte Hubergesichter mit wirrem Weiß in den Augen beinhaltet.]

adidas-kletterschuh

So wurde ich dann Kletterer, kaufte mir Gurt, Seil, Karabiner und sonstige Hardware, aber DEM KLETTERSCHUH Adidas „Marathon-Trainer“ blieb ich treu. Einzigartig seine Zustiegsqualitäten, die Performance in dem ersten 5 Metern der pfalztypischen Mooseinstiegplatten und dann in der Wand das erhabene Gefühl, mit diesem Wunderschuh (so fast) jedem Vierer und Fünfer gewachsen zu sein. Die Leichtigkeit der Reinigung, wenn im 5er-Körperriss der eh fast nie legbare 11er Hexentrick mal wieder die Kniescheibe aufgeschlagen hatte und das Blut die Socke tränkte. Dieser 11er Hexentrick ist eh was Besonderes; riesig, donnert beim Laufen und Klettern dauernd an die Kniescheibe und macht ob seiner Größe richtig was her. Ich kann mich zwar nicht an eine einzige Situation erinnern, in der ich dieses Monster mal so im Fels versenken konnte, dass es mehr als sein Eigengewicht getragen hätte, aber im Pfälzer Körperriss mit der traditionellen Bewertung „5+“ war das Ding genial. Sobald mal angstscheißgetränkt laaaaangsam ins Rutschen kam, der Lebensfilm das Abspielen begann und der Sichernde das mangels Zwischensicherung völlig nutzlose Seil ganz fest umklammerte, verkeilte sich diese metallische Entsprechung der Masse eines Mofamotors zwischen Felswand und Hüfte. Lebensrettend, aber definitiv schmerzhaft! Zelthäringe kann man damit auch ganz gut in sommertrockene Böden versenken. Der letzte Einsatz meines 11ers war dann irgendwann an der Klagemauer. Nein, ich hatte weder eine Zwischensicherung im „Hurrikan“ gelegt und auch nicht mit dem Ding damals die Schlüsselgriffe aus dem „Elektrischen Sturm“ raus gehackt. Ich hatte meine Pfanne vergessen und mehr oder weniger erfolgreich auf dem 11er über dem Benzinkocher Nürnberger Bratwüschtla dem Rohzustand entrissen.

Zurück zum „Marathon-Trainer“: Nachdenklich über die Eignung des Schuhs wurde ich erst, als andere Kletterer mich drauf aufmerksam machten, dass die Benutzung des Knies beim Klettern ein Bier kosten solle. Erste Versuche, das Knie bei der Bewegungsart Klettern als Fortbewegungsmittel aus zu klammern, führte dazu, dass ich ab und auch die Füße benutzte und mit Erschrecken feststellen musste, dass die Supersohle des Superschuhs „Marathon-Trainer“ auch ab und an abrutschte. Wenn böse Zungen jetzt behaupten, ich klettere nur so gerne Überhänge, damit ich mir beim Abrutschen der Füße nicht immer die Kniescheiben onduliere, sei diesen gesagt, dass ich Jahre später immerhin fast „Team Motivation“ geklettert habe; fast, äh… beinahe, nur diese eine Stelle…

Jedenfalls begann mit der Abwendung vom Knieklettern das Ende meiner noch nicht vorhandenen Beziehung zu Adidas bzw. einem Erreichen eines nordwandgesichtigen Sponsorvertrages über den „Marathon-Trainer“. Es musste so langsam der 6. Grad her, wollte ich mich noch länger am Leben freuen. Merke: In der Pfalz nimmt die Anzahl der Haken mit dem Schwierigkeitsgrad zu bzw. werden diese wundersamen Lebenserhalter erst ab dem 6. Grad (seltene) Realität.

Es war wohl die letzte Chance von Adidas zu vermeiden, heute eine hundsteure Imagekampagne laufen zu lassen, weil man kein passendes/ausreichendes Image hat.

Teil 2 Die Bronzezeit (Holozän)

Es kam zu meinem ersten Kontakt mit der Werbung für Kletterschuhe. Ein Blick in den damaligen Kletterführer offenbarte mies kopierte Schwarz-Weiß-Bilder eines Herren W. Kraus mit „EB“ an den Füßen. Irgendwie kam dann nix rüber gehüpft und die feuchten Finger blieben aus. Ich bin mir heute noch sicher, dass nur die mangelnde fotografische Abbildung ursächlich war, dass ich als einer der wenigen Kletterer dieser Epoche meine Schweißquanten nie in einen „EB“ steckte. Kletterte doch die halbe Pfalz mit diesen Schuhen; die andere Hälfte steckte in steigeisenfesten, ledernen Bollerschuhen und schielte neidisch auf meinen „Marathon-Trainer“.

barfuss_klettern

Gut, den „EB“ streifte noch Jahre späte, als es so etwas wie „richtige“ Kletterschuhe schon gab, ein gallischer Spitzenkletterer mit leicht glubschäugigem Gesicht zumindest für Werbeaufnahmen über, aber ich kenne niemanden, der mit den Dingern warm wurde (über die Schweißfüße hinaus).

Da kam der Tag, als mir der Katalog von Sport Schuster oder Scheck in die Hände viel und ich sah DAS BILD: Ein riesiger Oberarm ging übergangslos in einen riesigen Unterarm über, der wiederum in einen (!) Finger überging, der in einem Einfingerloch standesgemäß Verwendung fand. Unterhalb dieses riesigen Oberarms mit riesigem Unterarm war auch ein Fuß und der stand in so einem komischen grau-roten Schuh steckend plan an der Wand. Dann stand noch unter dem Bild was von „10er„ oder so. Somit ist Wolfgang Güllich schuld, dass ich DEN SUPERSCHUH schlechthin kaufte, den Boreal „Fire“ (Leute der Neuzeit, sucht nicht bei Google rum; der heutige Boreal „Fire“ ist gegen das damalige Dingens der Porsche unter den Kletterschuhen). Das neckische Tigerhöslein war damals auf dem Bild aber noch nicht zu sehen. Das hätte mich nachdenklich machen müssen.

Also der 6. Grad gelang mir irgendwann; was Schmerzen an den Füßen bedeutet, lernte ich auch und warum WoGü auf dem damaligen Bild den Fuss/Schuh plan an die Wand presste, wurde mir später auch bewusst. Es ist mir heute noch unklar, wie man mit diesem Schuhmonster, dessen Spitze so ungefähr auf Höhe des kleinen Zehs geschneiderte war, ernsthaft schwer klettern kann. Ich will nicht sagen, dass mein Misstrauen gegen Werbung damals begründet wurde, aber einen 10er bin ich mit dem Schuh nie geklettert. Ich behaupte dann mal, dass das mit dem Bollwerk eher schwierig ist, was natürlich ein 10er eh ist. Dem „Fire“ ist es wohl zu verdanken, dass barfuss Klettern in den Ideenbereich der klettertechnischen Perversitäten aufgenommen wurde. Für heutige Schmalschuhkletterer mag es nicht mehr notwendig sein, aber damals wurde „Ekel“ im Frankejura einseitig barfuss geklettert, denn mit dem „Fire“ war ein gescheites Antreten in dem großen Loch nicht machbar.
Jedenfalls kamen andere Schuhe auf den Markt und mit dem „Fire“ verschwanden auch die Bilder (zumindest die meisten) von Kletterern mit weißen Tennissocken in den Kletterschuhen. Schade eigentlich, denn dieser Schuh wurde üblicherweise mit unendlich (zu) langen Schuhbändeln versehen, die dann einmal um den oberen Schuhrand geschlungen jegliche Blutzirkulation unterhalb des Knöchels verhinderten. Der Schuh war auf dem besten Weg, vom gemeinnützigen Verein „Gegen das Raucherbein“ als Vor-Computerzeit-Simulator verpflichtet zu werden.

Fotrtsetzung folgt …