Dave Graham auf Schatzsuche im Tessin
Dave Graham war wieder auf Schatzsuche im Tessin und kündet via Instagram von einem Boulder-Sektor in Chironico, den er vergangenen Herbst erschlossen habe.
Fünf neu von ihm dort eröffnete Linien soll es geben, die „leichteste“ seiner Erstbegehungen, Flow My Tears (8B), ist in seinem aktuellsten Reel zu sehen. Die Boulderikone kommt aus dem Schwärmen kaum mehr heraus, in seiner Beschreibung des Gebiets folgt ein Superlativ auf den nächsten:
Dieses perfekte Stück Fels liegt ganz links in einem kreisförmigen Flussbett, unterhalb eines massiven Wasserfalls, und ist einer von vier perfekten Blöcken mit enormem Potenzial. (…) Eine klassische Kompressionssequenz mit einem Pogo-Swoop als Schlüsselstelle – besser geht es nicht, wenn man auf der Suche nach neuen Linien ist. (…) Die Art des Kletterns ist einzigartig, in einer wilden, kraftvollen Atmosphäre und dennoch mit einem enormen Flow.
Den Pogo-Swoop oder einfach Sprung, den Dave als Schlüsselstelle nennt, hat der 18-jährige Gianin Regli aus der Schweiz als erster Wiederholer zwar gleich anders gelöst und den Boulder damit als 8B/soft eingestuft, der Begeisterung scheint das aber keinen Abbruch zu tun.
Von bisher mindestens zwei weiteren Wiederholungen war bereits zu hören. Wer die glücklichen Früh-Begeher sind und was diese zum Schwierigkeitsgrad sagen, ist derzeit nicht bekannt. Vielleicht ist das aber auch einfach gar nicht so wichtig. Der Boulder macht ganz offensichtlich Freude und seine Begeher glücklich, ganz egal, mit welcher Beta er gelöst wird.
Graham nimmt in seinem Post auch gleich vorweg, dass seine Beta möglicherweise „härter als nötig“ war und er sich deshalb mit dem Schwierigkeitsgrad nicht sicher sei.
Sicher ist sicher, denn innerhalb eines Zeitgeists, in dem sich ein Hype um Leistungsnachweise, Rankings, Selbstvermessung und -optimierung und die Gegenbewegung des entschleunigten, spielerischen Lebensgenusses gegenüberstehen, macht man sich weder mit selbstbewussten, kommentarlosen Grade-Vergaben noch mit Understatement Freunde. Jegliche Aussage zu Schwierigkeiten kommt einer Gratwanderung gleich, wie sie einem im Übrigen auch im Kleinen beim Ausstieg aus Flow My Tears (8B) bevorsteht.
Umso erfreulicher, dass der mittlerweile 43-jährige Amerikaner, der sehr viel Zeit seines Lebens mit dem Erschließen und Begehen von Bouldern in den beliebten Gebieten des Tessins verbracht hat, auch nach wie vor einen Blick für die Schönheit der Landschaft hat:
Besonders fasziniert hat mich die Farbe und Textur des Steins, die verrückte Balance zwischen poliertem Flussgestein auf der Unterseite und einer erstaunlich griffigen, dem Himmel zugewandten Kante. Keine Ahnung, wie sich dieser Block zu dem entwickelt hat, was er heute ist.
Er sei erstaunt, dass diese Felsblöcke noch nicht gereinigt oder geklettert wurden, sagt Graham.
Das zeige, wie konsumorientiert unser Sport mittlerweile sei und wie selten die Leute Wert darauf legen, neue Felsblöcke an Orten zu erkunden und zu erschließen, die jede Saison von Tausenden von Menschen besucht werden, insbesondere von Profikletterern, die sich an einigen der härtesten Linien der Welt versuchen.
Je nach Hype kommt es vor, dass Sektoren, einzelne Blöcke oder gar Linien unter dem Ansturm der Projektierbegeisterten erodieren oder irgendwann von Sperrungen bedroht sind, während anderenorts schöne, aber weniger populäre Linien von der Natur zurückerobert werden.
Leider ist eine Kletterei erst dann cool oder populär, wenn sie von einem sehr kleinen Teil der Gemeinschaft bestätigt wurde (wobei ich Alphane als Referenz nehme).
Dave Graham via Instagram
Dave hofft, dass das seinen aktuellen Erschließungen nicht so schnell blühen wird. Er sieht hier nach wie vor großes Potenzial, die Grenzen des Boulderns wie wir es kennen zu erweitern und viele unglaubliche Linien, die es zu finden und zu reinigen gilt.