Das wilde Herz Europas schlägt unregelmäßiger

Die Alpen sind das wilde Herz Europas, für viele Staaten sind sie von enormer ökologischer, ökonomischer und sozialer Bedeutung. Doch das wilde Herz Europas schlägt unregelmäßiger: Erschließungen, Klimawandel und Nutzungsdruck setzen ihm zu. Zum internationalen Tag der Berge am 11. Dezember betont der Deutsche Alpenverein, warum der konsequente Schutz der Alpen nicht nur für Bergsportler*innen wichtig ist.

Die Alpen sind schön. 

Die Alpen als Hochgebirge im Herzen Europas haben aus verschiedenen Gründen weit über die direkten Anrainerstaaten hinaus eine große Bedeutung.

Sie sind zum Beispiel ein wichtiger europäischer Wasserspeicher. Die Alpen bilden eine natürliche Barriere für feuchte Luftmassen vom Atlantik, die dort in ihrer Zugbahn gestoppt werden und abregnen. Deshalb sind die mittleren Jahresniederschläge in den Alpen oft mehr als doppelt so hoch wie im umgebenden Flachland.

Im Hochgebirge werden die Niederschläge in Form von Schnee und Gletschereis gespeichert, durch die Schnee- und Eisschmelze im Sommer führen die Flüsse in den Ebenen auch in trockenen Phasen verlässlich Wasser,

erklärt Steffen Reich, Leiter des Naturschutzressorts beim DAV.

Die Gebirgssperre beeinflusst außerdem unser Klima. Warme Luftmassen aus dem Süden und kalte aus dem Norden treffen nicht ungehindert aufeinander. Ohne diese Barriere wären Extremwetterereignisse wie Blizzards in Südeuropa oder Tornados in Deutschland die Folge.

Die sieben Höhenstufen der Alpen bilden ein einzigartiges Ökosystem. Sie sind Lebensraum für 30.000 Tierarten und 13.000 Pflanzenarten. In Summe beheimaten die Alpen knapp 40 Prozent der europäischen Flora. Die vielfältigen Landschaften machen sie zu einem Tourismusmagneten: Rund 150 Millionen Gäste sorgen jährlich für 500 Millionen Übernachtungen im gesamten Alpenraum. Für viele alpine Regionen ist der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige.

Noch. 

Die Alpen sind das am dichtesten besiedelte, am stärksten erschlossene und am intensivsten genutzte Hochgebirge der Welt. Das setzt das sensible Ökosystem enorm unter Druck.

Die Klimakrise wirkt sich in den Alpen besonders stark aus, sie erwärmen sich etwa doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Die Folge: Vegetationszonen verschieben sich, Tiere und Pflanzen können sich nicht schnell genug anpassen, die Artenvielfalt nimmt ab. Zusätzlich lassen die milderen Temperaturen den Permafrost tauen und die Gletscher schmelzen. „Der Gletscherrückgang wird die Erwärmung weiter beschleunigen“, erklärt Reich. „Weniger Eis- und Schneeflächen bedeuten weniger Reflexionsflächen. Der dunklere Fels absorbiert mehr Sonnenstrahlung und erwärmt sich“.

Durch das Schmelzen der Gletscher versiegt auch der Wasserspeicher.

Wir sehen einen krassen Nutzungskonflikt auf uns zukommen. „Auf der einen Seite der dramatische Gletscherrückgang, der dazu führt, dass wir zukünftig weniger Wasser zur Verfügung haben. Auf der anderen Seite wird dem System immer mehr Wasser entzogen, zum Beispiel für die Energieerzeugung. Die Folgen gehen weit über die Alpen hinaus, weil das Wasser natürlich auch flussabwärts fehlt.

sagt Reich

Auch Wirtschaft und Tourismus setzen den Alpen zu. Touristische und Verkehrserschließungen bedrohen die letzten unverbauten Räume.

Die Alpen sind eine Transitregion Europas. Allein zwischen 2007 und 2016, also innerhalb von zehn Jahren, hat der LKW-Verkehr in den Alpen um 66 Prozent zugenommen – auf über 10 Millionen LKW-Fahrten,

erklärt Reich.

Es lohnt sich, für sie zu kämpfen.

„Die Alpen brauchen unseren Schutz“, sagt Reich. „Mehr Pistenfläche, mehr Beschneiung, mehr Parkplätze und Straßen – die Leute kommen doch in die Alpen, weil sie die Natur und die Ruhe suchen. Dafür braucht es sanften Tourismus, wie ihn zum Beispiel die Bergsteigerdörfer umsetzen“. Nachhaltigerer Tourismus bedeutet für den DAV auch, dass die Erschließung der Alpen abgeschlossen ist. Das betrifft das eigene Wege- und Hüttennetz, aber auch die Skigebiete: Modernisierungen ja, Erweiterungen nein. Gegen die unveränderte Fortschreibung der Seilbahnförderrichtlinie sprechen sich neben dem DAV viele weitere Umweltverbände aus. Subventionen aus Steuergeldern müssen zukünftig an Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt werden. Gleichzeitig gab es in diesem Jahr im Bereich der Skierschließungen im Alpenraum auch eine positive Entwicklung: Die Pläne zum Zusammenschluss der Gletscherskigebiete Pitztal und Sölden sind nun endgültig vom Tisch.

„Was uns wirklich große Sorgen bereitet, ist die Klimakrise“, betont Reich. Der DAV nimmt mit seinem umfangreichen Klimaschutzkonzept eine Vorbildrolle ein. „Wir fordern die Politik auf, schneller zu handeln: Wir brauchen eine Verkehrswende im Alpenraum, wir brauchen konsequenten Klimaschutz! Und zwar im Einklang mit der Natur, Klimaschutz ohne Naturschutz bringt uns nicht weiter“.

Der DAV setzt sich für eine naturverträgliche und nachhaltige Energiewende ein. Einige Kraftwerksprojekte, beispielsweise die bereits im Bau befindliche Erweiterung Sellrain-Silz sowie die Planungen zum Ausbau des Kraftwerks Kaunertal, lehnt der DAV deshalb ab.

Es gibt bereits sehr gute Schutzkonzepte für die Alpen, die ökologische, ökonomische und soziale Interessen in Einklang bringen. Ich denke da vor allem an den Alpenplan, der seit 50 Jahren besteht. Solche wirksamen und verlässlichen Konzepte brauchen wir für den gesamten Alpenraum,

resümiert Reich. Denn die Alpen sind schön. Noch. Der DAV wird weiter für sie kämpfen.
  • Credits Text Cornelia Kreß/ DAV, kletterszene.com
  • Credits Fotos DAV/Franz Güntner
  • Beitragsdatum 8. Dezember 2022