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Coast to Coast – Stefan Glowacz im Interview

Es war im Juli 2018, als der Profibergsteiger und Extremsportler Stefan Glowacz gemeinsam mit seinen beiden Teamkollegen – dem Fotografen und Arktisexperten Thomas Ulrich und dem jungen Kletterer Philipp Hans – von Bayern aus Richtung Grönland aufbrach. „Coast to Coast: so hieß die Expedition, die 100 Tage lang dauerte und bei der neben der 1000 Kilometer langen Durchquerung des grönländischen Inlandeisschildes als Finale die Erstbegehung einer Big Wall geplant war – die damals allerdings scheiterte. Dieses Abenteuer, bei dem nicht alles planmäßig lief, filmte das Team: „Es sind faszinierende Bilder entstanden, die die Höhen, aber auch die Tiefen des Scheiterns zeigen“, sagt Stefan Glowacz im Gespräch mit Kletterszene.com. „Wir haben alles selber gedreht: die Bilder vom Inlandeis genauso wie die Reise mit dem Segelboot.“

Aus diesen Bildern entstand die Dokumentation „Stefan Glowacz – Abenteurer in den Bergen“, die am Montag, 1. März, ab 20.15 Uhr auf „ServusTV“ zu sehen ist.

Ks.com: Stefan, du hast schon viele extreme Expeditionen unternommen: War diese dein Highlight?

Stefan Glowacz: Ja, weil diese Expedition so völlig untypisch – eigentlich ein Komplex aus ganz verschiedenen Expeditionen – war. Schon die Anreise mit dem Elektroauto nach Schottland war ziemlich witzig, dann die Reise mit dem Segelschiff an die Westküste Grönlands und schließlich die Überquerung von West nach Ost. Alleine diese Überquerung war schon ein Riesenbrett. Und die Erfüllung eines Traums. Immer wenn ich früher nach Nordamerika geflogen bin und wir über Grönland waren, war ich unglaublich fasziniert. Du fliegst da eine Stunde lang über eine riesige weiße Fläche und ich habe mich immer gefragt, wie sich das wohl anfühlt, da unten zu sein… einmal in meinem Leben wollte ich da unten stehen.

Und wie hat es sich dann angefühlt?

Beeindruckend. Das war ein Gefühl, als ob ich mich auf einem ganz anderen Planeten bewegen würde. Tage- und wochenlang unterwegs zu sein, und alles sieht gleich aus. Da ist nichts mehr. Es war eine sehr gleichmäßige und monotone Fortbewegung. Körperlich war vor allem die irrsinnige Kälte zermürbend, mental die Ausgesetztheit und die Einsamkeit –  und das Wissen, dass nichts passieren durfte. Das hat einen brutal gefordert.

Es lief bei dieser Expedition nicht alles planmäßig… wo hakte es?

Das war mit einer extra heißen Nadel gestrickt… und der Skipper war das Zünglein an der Waage. Die Frage war ja, wann kommen wir zum frühesten möglichen Zeitpunkt an die Küste. Ursprünglich war geplant, erst die Erstbegehung zu machen, dann Grönland von Ost nach West zu überqueren. Aber das Problem dabei war, dass der Skipper uns dann nicht mehr auf der Westseite hätte abholen können. Die einsetzenden Herbststürme waren das entscheidende Kriterium, so dass wir schließlich umplanen mussten. Die Westküste ist früher eisfrei, deshalb beschlossen wir, erst die Überquerung zu machen. Bis Island war dann auch alles im Zeitplan, dann verloren wir einen Tag nach dem anderen – insgesamt waren es schließlich fast 14 Tage, die wir aber eigentlich fürs Klettern an der Ostküste gebraucht hätten. Zwei Wochen sind in dieser Region Quantensprünge. Wir sind dann schließlich nach der Durchquerung zu der Wand hochgegangen – und standen vor einem vollkommen vereisten Massiv. Eine Begehung war nicht möglich. Aber wir wussten, dass es sich lohnt, wiederzukommen.

Konntest du die Begehung mittlerweile nachholen?

Ja, ein Jahr später dann, wieder mit Philipp im Team. Das war aber auch etwas, was ich unbedingt gewollt habe. Das Klettern hat bei meinen Unternehmungen immer dazugehört. Der Gipfel war dann auch sensationell, es ist einer der schönsten, auf dem ich jemals stand… du stehst da oben auf einem tischgroßen Plateau. 

Welche Eigenschaften braucht man, um solche Expeditionen durchzuziehen?

Projekte im Grenzbereich und gegen alle Widerstände durchzuführen, ist so eine Art Lebenselixier. Ich habe immer daran geglaubt, das schaffen zu können. Aber Leidenschaft und Besessenheit sind im Alpinismus und Expeditionswesen sicher notwendig, um Ziele im Grenzbereich zu realisieren. 

Der einfache Weg war nie dein Ding, sondern vielmehr die Fähigkeit, das Ungewöhnliche zu meistern: so wurdest du mal beschrieben. Ist das so? 

Ich bin ein extrem neugieriger Mensch, der monotone Alltag ist für mich so ziemlich das Schlimmste. Gerade jetzt in der Coronazeit ist alles vorgezeichnet, ein Tag ähnelt dem anderen. Aufbrechen und Heimkommen –  und dazwischen magische Momente erleben, neue Regionen erforschen, wie das Inlandeis, das ist meins. Es sind Träume, Wünsche und die Neugierde auf das Unbekannte hinter dem Horizont, die mich antreiben.

„By fair means”: wie wichtig ist dir das?

Das „Wie“ des Hinkommens ist ebenso wichtig für mich, wie das Hinaufkommen. Die künstlichen Hilfsmittel  zur Fortbewegung versuche ich seit Jahren bei meinen Expeditionen auf ein Minimum zu reduzieren und vom letzten Zivilisationspunkt aus eigener Kraft an eine Wand zu gelangen. Generell lebe ich jedoch als Kletterer in einem permanenten Konflikt. Wir Bergsteiger sind sehr mobile Menschen. Die ganze Welt ist unsere Arena. Es ist natürlich verlockend, mit dem Flugzeug mal schnell ins Yosemite zum Klettern zu fliegen. Als naturverbundener und naturliebender Mensch habe ich diese Zerrissenheit und den Widerspruch immer gespürt. Vom letzten Zivilisationspunkt aus eigener Kraft in die Wildnis aufzubrechen, eine große Wand zu klettern und danach in die Zivilisation zurückzukehren, das bedeutet für mich heute Abenteuer. Die Antwort auf die Frage, was die Herausforderungen für uns Bergsteiger, Kletterer und Abenteurer in der Zukunft sein werden, liegt in der Kreativität und Individualität des Protagonisten. Im Alpinismus ist schon alles einmal dagewesen. In meinen Augen war die letzte, große und offensichtliche Herausforderung die erste Begehung des Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff. Das war das letzte große Fragezeichen, ob dies möglich ist. Für meine und die nachfolgenden Generationen wird es eher die Fragestellung sein: Was interessiert mich persönlich – was möchte ich erreichen und erleben. Die Abenteuer werden dadurch zu individuellen Herausforderungen. So naturverträglich als möglich unterwegs zu sein, das ist mir wichtig – und das war es auch schon, bevor das Thema Klimaerwärmung in den Fokus rückte.

Können Grenzerfahrungen „süchtig“ machen?

Das Wort süchtig gefällt mir nicht. Mir ist es wichtig, ein faszinierendes, selbstbestimmtes und freies Leben führen zu dürfen. Das motiviert mich, immer wieder neu aufzubrechen – aber ich muss vor nichts weglaufen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig man braucht, um bei minus 40 Grad glücklich zu sein: geschützt in einem Zelt, mit einem dicken Schlafsack und mit einer warmen Mahlzeit, reicht dafür. Dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Man nimmt danach die Annehmlichkeiten der Zivilisation mit ganz anderen Augen wahr. Entbehrungen sind sehr wichtig, sie immer wieder zu spüren und zu entdecken, bildet für mich ein Gleichgewicht und wurde zu einer Art Lebensphilosophie… aber Sucht ist es keine. Sondern ein unglaublicher Drang nach einem selbstbestimmten Lebens und der Versuch, mein Leben in größtmöglicher Freiheit und Unabhängigkeit zu leben. 

Hast du Pläne oder Ideen für eine nächste Expedition?

Ich habe da noch so ein Langzeitprojekt im Wettersteingebirge an der Schwarzen Wand. Diesem werde ich mich jetzt erst einmal widmen, dafür trainiere ich auch gerade in meinem Trainingsraum. Und dann gibt es natürlich noch einige große Unternehmungen, von denen ich eines schon dieses Jahr realisieren werde – by fair means. Mehr möchte ich aber jetzt noch nicht verraten.

Definierst du dich auch heute noch über das Klettern?

Ich bin mit jeder Phase meines Körpers Kletterer. Ich bin fasziniert von der jungen Generation, davon zu sehen, was die so klettern… das motiviert mich selber noch. Ich versuche, den Jungen nachzueifern und das Optimum aus mir rauszuholen. Klettern hat so viele verschiedene Aspekte und Spielformen. Das Klettern hat sich extrem weiterentwickelt, die Sichtweisen verändern sich. Ich versuche, in ganz verschiedenen Richtungen offen zu bleiben. Größe und Gelassenheit zu haben und zu sagen, das inspiriert mich: solange du dir das erhalten kannst, wirst du immer Ziele haben.

  • Sendetermin: „Abenteurer in den Bergen“ bei Bergwelten auf ServusTV
    • am Mo., 01.03., ab 20:15 Uhr in Österreich
    • am Mo., 01.03., ab 21:15 Uhr in Deutschland

  • Credits Text Gudrun Regelein / Kletterszene.com Stefan Glowacz
  • Credits Fotos ServusTV, Thomas Ulrich
  • Beitragsdatum 21. Februar 2021