Albert Leichtfried und Benedikt Purner gelingt die vermutlich erste M10 der Welt mit komplett natürlicher Absicherung

Um beim Eisklettern neue Ideen in die Tat umsetzen zu können, bedarf es vor allem einer entscheidenden Tatsache. Man sollte sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort befinden. Diese eisige Weisheit klingt einfach und logisch, doch gestaltet sich die Umsetzung oft recht schwierig und frustrierend. Nach einem Ausflug zur „Zauberflöte“ im Langental mit Benedikt Purner Mitte Jänner dieses Jahres sind uns neben der immensen Schönheit dieser sehr selten kletterbaren Linie bald zwei Dinge klar geworden. Zum einen hatte es in den Dolomiten so viel Eis wie schon seit ewigen Zeiten nicht mehr und zum anderen war es nach einem unglücklich verlaufenen letzten Winter endlich wieder einmal soweit, dass unsere auf neue Möglichkeiten geschulten Augen einige viel versprechende Linien erspähen konnten.

Nach einem eher schwerlich anklingenden Eiswinter, kamen Benni und ich im Laufe des Jänners langsam in Form. Wir kletterten einige schöne Eis- und Mixedlinien im Südtiroler Langental bei Wolkenstein. Auffällig dabei war schon, dass wir verstärkt versuchten, in den Mixedlängen auf die Verwendung von Eisenmaterial wie Haken oder Bolts zu verzichten. Die ersten in diesem Stil gekletterten Mixedlinien („Remember Mi“ M8/WI7- und „Stalker“ M7/WI6) konnten wir im Winter 2011 in Sordalen/Norwegen klettern. 2006 konnte ich mir einen damals bereits lang ersehnten Traum erfüllen. Mit der Route „Illuminati“ gelang es mir, das moderne Mixedklettern mit ernster, klassischer Eiskletterei zu verbinden. Nun ging erneut ein Traum in Erfüllung. Eine Route an der Grenze unserer Möglichkeiten mit absolut natürlichen Sicherungsmitteln zu klettern, geisterte schon einige Zeit in unseren Köpfen herum. In „Senza piombo“, zufällig nur 15 Minuten von „Illuminati“ entfernt, fanden wir die nahezu perfekten Möglichkeiten dafür.

Am 27. Jänner starteten Benni und ich, nichtsahnend was uns erwarten würde, in die erste Seillänge. Eine mit bizarren Eisstrukturen sehr schöne M6. Die zweite Länge führt im fünften Eisgrad auf ein Band. Abrupt ändert sich ab dort der Charakter der Route. Eine stark überhängende Felswand mit relativ wenig Struktur schien für uns das Ende der cleanen Kletterei zu sein. Als Benni beim Wegklettern darauf verzichtete, Haken oder Bolts mitzunehmen, war ich nicht schlecht erstaunt.

„Er wolle mal schauen, was geht.“  In den letzten Jahren war ich nicht das erste Mal von seinen enormen Fähigkeiten begeistert. Auch dieses Mal verblüffte er mich, er gab einfach nicht auf. Nach einem schier endlosen Kampf kletterte er die dritte Seillänge im Grad M9 clean, on sight – einfach genial. Nun war ich an der Reihe, die Route, wenn möglich weiterhin ohne Eisen zum Eisvorhang zu bringen. Die Felsstrukturen wurden weniger, dafür die Wand noch steiler – eine ernüchternde Kombination. Nach zwei Stürzen, an dem sich abwechselnd jeweils einer meiner zwei gelegten Cam’s aus dem seichten Riss verabschiedeten, waren meine Nerven am Ende. In technischer Kletterei versuchte ich irgendwie zum Zapfen zu gelangen und studierte dabei die Bewegungen und Placements für das nächste Mal.

Nach einem „Rasttag“, an dem wir den direkten Einstieg zum „Jumbo-Jet“ kletterten, geisterten die Hooks und Bewegungen der Cruxlänge von „Senza piombo“ bereits in meinem Kopf herum. Immer wieder versuchte ich die Cam-Placements durchzugehen, und die Bewegungsabläufe zu studieren. Nach einem weiteren, dringend notwendigen, wirklichen Rasttag war es dann soweit. Der Wecker läutete um 4:15, doch ich war schon kurz davor hellwach. Mein Fokus war ganz bei der Route.

Danach lief alles so, wie wenn ein Film abgespult wurde. Die Kletterei forderte alles von mir, doch ich konnte kontrolliert bis zum Top klettern. Auf Grund der enormen Wärme an diesem Tag, war die Abschlusseillänge im Eis eher gruselig, aber Benni ließ sich nicht mehr aus der Ruhe bringen. Wir erfüllten uns mit „Senza piombo“, der vermutlich ersten clean gekletterten M10, einen über einige Jahre ersehnten Traum. All das Training und die Kletterei in harten Mixedrouten waren wie eine Art Vorbereitung für diesen Tag, um unsere erlernten Fähigkeiten auf einen Punkt zu konzentrieren.

Eines liegt mir noch am Herzen. In letzter Zeit konnte man in den diversen Medien so einiges über die Zukunft des Eiskletterns lesen. Zum einen sollte die Zukunft in überhängendem Eis mit Bolts als Absicherung liegen, zum anderen in Eis- und Mixedrouten, welche ausschließlich ohne Bolts geklettert werden, oder auch in steilen Eisgebilden, welche nur mit Eisschrauben abgesichert werden. Ein Widerspruch? Ist es nicht eher die Verwirklichung des eigenen Egos, wenn man versucht die Zukunft zu definieren? Was auch immer die Zukunft bringen wird, an ihrer Vorhersage ist der Mensch schon Jahrhunderte lang gescheitert.  Jedes einzelne Abenteuer,  jeder neue Moment wird die Zukunft von selbst entstehen lassen.

  • Credits Text Albert Leichtfried
  • Credits Fotos Klaus Kranebitter
  • Beitragsdatum 1. Februar 2013