Neue Klettersteignorm – und was sich verändert

Die neue Klettersteignorm, die ab Mai 2017 in Kraft tritt, bringt Veränderungen für uns und Euch. Die Details hat uns Robert Krüger erklärt. Im Gespräch beantwortet uns der Produktentwickler die wichtigsten Fragen.

Wie Ihr bestimmt schon gehört habt, soll bald eine überarbeitete Klettersteignorm in Kraft treten. Warum das notwendig ist, wie sich die neue Norm EN 958:2017 von der bisherigen EN 958:2011 unterscheidet, was sich für Endkunden und Sportfachhändler verändert und welche entscheidende Rolle ein Bandfalldämpfer dabei spielt, erklärt Euch Robert Krüger im Gespräch mit uns. Er arbeitet seit 2009 bei Skylotec  – und ist seitdem für die Entwicklung textiler persönlicher Schutzausrüstung (PSA) für die Bereiche Sport und Industrie zuständig.

Die Norm EN 958 für Klettersteigsets soll bald in neuer Version erscheinen. Was regelt sie denn überhaupt?

Robert Krüger: Konkret geht es bei der EN 958 um Bandfalldämpfer für die Verwendung auf Klettersteigen. Das ist das Verbindungsmittel, das zwischen Auffanggurt und Anschlagpunkt eingesetzt wird. Im Falle eines Absturzes reißt es auf und bewahrt die abstürzende Person vor schwereren Verletzungen, indem die auftretenden Stoßkräfte auf maximal 6 kN (Kilonewton) – das entspricht einem Gewicht von 600 Kilogramm – reduziert werden. Beim Klettersteiggehen ohne energieabsorbierendes Verbindungsmittel – dem sogenannten Bandfalldämpfer – wirken kurzzeitig Stoßkräfte auf die Anseilschlaufe des Klettergurtes und die Steigverankerungen, die schon bei einer Fallhöhe von drei Metern mehr als 20 kN (2 Tonnen) betragen. Das verursacht massive Verletzungen und kann zum Totalversagen des Materials führen.

Warum wird die Klettersteignorm nun überarbeitet?Skylotec Klettersteig 1

Robert Krüger: Untersuchungen in den zurückliegenden Jahren haben gezeigt, dass insbesondere bei leichtgewichtigen Personen unter 50 Kilogramm wie Kindern oder auch Frauen bei einem Sturz hohe Beschleunigungskräfte auftreten, da der Bandfalldämpfer nur wenig oder gar nicht aufreißt. Durch die hohen Beschleunigungskräfte steigt das Verletzungsrisiko erheblich. Es ist daher notwendig, dass bei leichtgewichtigen Personen eine geringere Schwelle existiert, bei der der Bandfalldämpfer auslöst. Bei einem Anwendergewicht bis 40 Kilogramm gilt nun ein maximaler Fangstoßwert von 3,5 kN.

Wurden mit der neuen Norm auch die Testbedingungen der Realität angepasst?

Also die finalen Tests finden nach wie vor im Labor statt, um eine Reproduzierbarkeit zu gewährleisten.

1) Aus der Praxis wurde ein Nasstest übertragen, in dem das KS Set komplett in Wasser eingelegt wird und anschließend dynamisch geprüft wird. Der maximal zulässige Fangstoß darf 8 kN nicht übersteigen.
Hintergrund ist, dass früher die Dämpfer aus POLYAMID gewebt wurden. Dies hat die Eigenschaft, dass es unter Nässe aufquillt und es bei dynamischer Belastung dann bricht. Folge ist ein Totalversagen. (tödlicher Unfall vor vielen Jahren)
Heutzutage wird meist ein POLYESTER Gemisch verwendet. Dies prüft die Norm mit dem Nasstest ab.

2) Die sogenannten Flexarme (elastische Verbindungsmittel) werden nach dem Vorfall der letzten großen Rückrufwelle einem Dauertest unterzogen mit 50.000 Zyklen. Hier wird der Flexarm 50.000mal gestreckt und anschließend muss die Festigkeit noch größer 12kN sein.

Dies simuliert die Praxisanwendung. Die Untersuchungen damals haben gezeigt dass der im Band liegende Gummi, die lastragenden Kettfäden aufreibt und brechen lässt. Dies war von außen nicht erkennbar. Dies wird mit diesem Test nun vorab geprüft, ob diese praxisnahe Anwendung Einfluß auf die Festigkeit hat. Alle Zulieferer haben hier ihre Konstruktionen angepasst nach der größen Rückrufwelle begründet durch die Flexarme.

3) Hinzugekommen sind Zwangsangaben seitens des Herstellers zu Nutzungs- und Lebensdauer, da ein Textil bekanntlich altert und durch Umwelteinflüsse (Staub, UV, Feuchtigkeit) seine Festigkeit verlieren kann.

Dies wären die 3 maßgeblichsten Anpassungen welche sich an der Praxis orientieren. Hinzu kommen noch neue Anforderungen bei den Klettersteig Karabinern. Hier muss ich leider passen – da nicht mein Bereich. Könnte jedoch recherchiert werden.

Bietet die neue Norm denn auch eine Lösung dafür, dass Erwachsene in den zurückliegenden Jahren im Durchschnitt immer schwerer geworden sind?

Robert Krüger: Tatsächlich wurde die Norm auch in diese Richtung überarbeitet. Bisher waren Klettersteigsets für ein Körpergewicht von 80 Kilogramm ausgelegt. Über diese Grenze hinaus mussten Hersteller bisher ein zulässiges Anwender-Maximalgewicht angeben, das garantierte, dass das Produkt bei einem Sturz nicht auseinander reißt. Bei der aktualisierten Norm ist es nun so, dass sie den Entwicklungen innerhalb der Bevölkerung Rechnung trägt. Das maximale Anwendergewicht liegt jetzt bei 120 Kilogramm, dabei dürfen die auf den Körper einwirkenden Kräfte im Falle eines Sturzes maximal 6 kN betragen. Das ist auch deshalb wichtig, weil es nicht ausschließlich auf das eigene Körpergewicht ankommt. Wer zusätzlich Ausrüstung wie den obligatorischen Schutzhelm, angepasstes Schuhwerk und beispielsweise einen schweren Rucksack trägt, kommt gleich auf ein paar Kilogramm mehr.

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Sind die neuen Klettersteigsets mit einer Gewichtsspanne von 40 bis 120 Kilogramm also eine Lösung, die allen Anwendern gerecht wird?

Robert Krüger: Sie deckt zumindest den Großteil der Anwender ab. Damit lässt sich das Risiko minimieren, dass ein Klettersteiggeher zu einem Bandfalldämpfer greift, der für sein Gewicht gar nicht geeignet ist. Allerdings gibt es auch Anwender wie etwa Kinder, die inklusive Ausrüstung weniger als 40 Kilogramm wiegen. Die sind in der neuen Norm nicht berücksichtigt. Wir empfehlen für Kinder, die dieser Eigenverantwortung sowie der notwendigen motorischen Anforderung noch nicht gewachsen sind, immer mittels einer Toprope-Sicherung nachzusichern – also einer Sicherung, bei der das Seil oberhalb in eine Umlenkung eingehängt wird und ein Partner den Kletternden zusätzlich sichert. Wer sich das nicht zutraut, sollte einen Bergführer für die Tour beauftragen oder sich entsprechende Kenntnisse durch eine Ausbildung aneignen, wie sie beispielsweise Klettersteigschulen und regionale Alpenvereine anbieten.

Ist es nicht eine große Herausforderung, ein Klettersteigset der Norm entsprechend zu Skylotec klettersteig Setoptimieren?

Robert Krüger: Für mich und meine Kollegen in der Produktentwicklung ist es Teil unserer täglichen Arbeit, Produkte einfacher und damit auch sicherer für den Anwender zu machen. Entwicklung bedeutet für uns, Verantwortung zu übernehmen und Risiken durch Fehlanwendung auszuschließen. Schließlich schützen unsere Produkte Menschen in der Höhe. Und was das konkrete Beispiel der EN 958 betrifft: Da hat uns sicherlich geholfen, dass wir uns seit Jahren intensiv mit dem Thema „Bandfalldämpfer“ beschäftigen.

Das musst Du bitte genauer erklären …

Robert Krüger: In der Industrie haben wir bereits einen Bandfalldämpfer entwickelt, der innerhalb der Norm mehr leisten kann als die zuvor vorhandenen Lösungen. Als erster Hersteller überhaupt haben wir eine große Gewichtsspanne von 50 bis 140 Kilogramm abdecken können, ohne dabei die Norm-Anforderungen für Bandfalldämpfer in der Industrie zu vernachlässigen. Dem Anwender fällt dadurch die Suche nach passender PSA leichter, weil er nicht aus verschiedenen Gewichtsklassen auswählen muss. Mit unserem SKYSAFE PRO haben wir dabei bereits ein Dämpfersystem zur Anwendung im Industriebereich entwickelt. Damit haben wir bereits bewiesen, dass ein nutzergewichtsabhängiger Fangstoß realisierbar ist. Diese technische Möglichkeit hatte zuvor niemand gesehen. Dieses Know-how aus der Industrie haben wir genutzt, als es darum ging, unsere Klettersteigsets weiterzuentwickeln.

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Muss ich mir Sorgen machen, wenn ich ein Klettersteigset nach alter Norm verwende?

Robert Krüger: Definitiv nicht! Alte Sets sind nicht weniger sicher als jene, für die die neue Norm gilt. Sie können so lange verwendet werden, bis die Nutzungs-, Lebens- und Lagerdauer erreicht ist. Die Hersteller sind ja schon jetzt dazu verpflichtet, dazu klare Angaben zu machen. Wir empfehlen besonders leichten oder schweren Personen jedoch, auf Sets umzusteigen, die nach der bald gültigen Norm zertifiziert sind. Die jüngsten Entwicklungen zeigen schließlich, dass sich das Unfallrisiko dadurch deutlich minimieren lässt.

Was verändert sich für mich als Klettersteiggeher?Skylotec Klettersteig Set

Robert Krüger: Ein Plus an Sicherheit ist offensichtlich. Zudem ist damit zu rechnen, dass das Bandfalldämpfer-Paket an Gewicht und Volumen zunimmt, weil mehr Bandmaterial verstaut werden muss. Das liegt daran, dass der zulässige Bremsweg in der überarbeiteten Norm von 120 cm auf 220 cm erweitert wurde. Nur so ist es möglich, die Energie überhaupt zu absorbieren, wenn ein Anwender mit 120 Kilogramm fünf Meter tief fällt.

Bekomme ich denn überhaupt noch alte Klettersteigsets, wenn die überarbeitete EN 958:2017 wirksam wird?

Robert Krüger: Wir rechnen damit, dass die neue Norm zwischen Mai und Juni 2017 veröffentlicht wird. Sobald es so weit ist, gelten für Hersteller als Inverkehrbringer der Klettersteigsets eindeutige Vorgaben. Wir dürfen die Sets ausschließlich nur noch nach neuer Norm herstellen, zertifizieren und ausliefern. Bis zum Erreichen der angegebenen Lagerungs-, Nutzungs- oder Lebensdauer dürfen dagegen Sets mit alter Norm, die im Groß- oder Einzelhandel noch auf Lager sind, verkauft werden – auch hier unter der Maßgabe, sie nur so lange zu verwenden, bis die vom Hersteller vorgeschriebene Lebens-, Lagerungs- und Nutzungsdauer erreicht ist.

Robert, vielen Dank für deine ausführlichen Antworten und die Ausführungen zur neuen Klettersteignorm.