Andreas Bindhammer wiederholt "La Novena Enmienda" (9a+) [Bericht, Bilder,Interview]

abindhammer_novena_12Katalonien ist bekannt für seine Dichte an schweren Routen. Und ein Gebiet sticht hier besonders hervor: Die Höhle „Cova Grande“ bei Santa Linya, in den kühleren Monaten „Promitreff“ der internationalen Kletterszene und perfektes Trainingsareal.

Neben dem bisher noch nicht befreiten Projekt Neandertal führt nur eine Linie aus dem Zentralbereich der Höhle ganz zum Ausstieg: La Novena Enmienda, eine Erstbegehung von Dani Andrada aus dem Jahr 1995, die – damals mit 9a+/b bewertet – als weltweit schwerste Route galt. Die 55m lange und genauso überhängende Line kombiniert La Novena Puerta und La Traversia de la Enmienda, beide mit 8c+ bewertet.

abindhammer_novena_05Für Andreas Bindhammer, der sich in seiner Wahlheimat Allgäu den Sommer über gezwungenermaßen eher mit kurzen, maximalkräftigen Routen und Bouldern (→ Frontman Deluxe 8c+/9a) beschäftigt hatte, also eine echte Herausforderung. – „Die ersten Tage waren eine echte Qual: mit dreimaligem Hängen bis zur ersten Kette – mehr ging einfach nicht…“.

Nach einigen Tagen fiel zwar dann La Novena Puerta, doch im zweiten Teil der Route fehlten die Reserven für die schweren Boulderpassagen. – „Mein Ausdauerkontingent bei jedem Versuch voll auszuschöpfen war eher kontraproduktiv. Mein Maximalkraftniveau schwand dadurch zusehends und ich konnte viel zu selten den ersten Teil der Route klettern. Eine Trainingsumstellung musste her…“. Die neue Herangehensweise sah vor, am ersten Tag Versuche in der Route zu starten, am zweiten Tag ausschließlich zu bouldern, um das Maximalkraftniveau auf konstantem Level zu halten.

„Die Rechnung ging auf. Innerhalb kürzester Zeit konnte ich ohne vorheriges Aufwärmen den ersten Teil der Route klettern und mich voll auf den oberen Part konzentrieren.“ – Mehr als drei Versuche pro Tag waren allerdings nicht möglich.

Starker Wind und geringe Luftfeuchtigkeit – Bedingungen, die Andreas dieses Jahr bisher kaum vorgefunden hatte, helfen den Fortschritten in der Route im November dann schließlich auf die Sprünge. Der schwerste Zug im oberen Teil der Route – ein brachialer Blockierzug in ein Einfingerloch – geht jetzt bei Versuchen von unten regelmäßig. Die neue Crux ist nun der Untergriffkreuzzug in einen versteckten Schlitz, nur zwei Züge danach. Doch in Anbetracht der enormen Höhe und Steilheit der Route ist die Idee zur Kraftersparnis schnell gefunden: durch Überklettern der Zwischensicherung sollte die Passage flüssiger von statten gehen…

Der nächste Versuch endet zwar weit von der Wand entfernt im Seil, aber der Zielgriff lag schon abindhammer_novena_07fast in der Hand… Abendlich kühle Bedingungen und etwas mehr Reserven in der Schlüsselpassage bringen Andreas am gleichen Tag dann doch noch den erhofften Erfolg: der Schlitz liegt in der Hand. In der darauf folgenden etwas leichteren Untergriffpassage versucht er sich zu erholen.

Auch die nächste schwere Passage mit enorm weit anmutenden Zügen klappt. Es fehlen noch etwa 10 m bis zur Umlenkung. Noch den nächsten Untergriff durchziehen, dann kommen wieder bessere Griffe. – Die Anfeuerungsrufe von unten verstummen als Andreas abtaucht und 10m weiter unten kopfüber im Seil hängt. Die Route ist noch nicht zu Ende, seine Kraft hingegen schon.

Die Santa-Linya-Gleichung: 8c+² = 9a+

„Nach dem Versuch war mir klar, dass es klappen sollte, wenn nicht alles schief läuft. Ich versuchte also, mich am nächsten Tag so gut wie möglich zu erholen und am folgenden einen neuen Versuch zu starten.“

Es ist windig. – Und kalt! So kalt, dass Andreas an jedem halbwegs guten Griff mit verzerrtem Gesicht seine freie Hand an den Körper presst, um sie wieder warm zu bekommen. Kurz vor Mitte der Route scheint jegliches Gefühl aus seinen Fingern gewichen, es geht nicht mehr weiter. Die Temperaturen unter 10°C und der starke Wind entziehen nach und nach alle Energie, die Muskulatur kontrahiert und erstarrt, die Bewegungen wirken verkrampft und abgehackt.

Mit Shirt und Longsleeve ausgestattet startet Andreas etwas später einen neuen Versuch. Am dritten Haken ist er jedoch schon zu Ende, der Körper nach der Pause zu sehr ausgekühlt. Egal, er gibt nicht auf – ausbinden und gleich nochmal. Dieses Mal gelingt es ihm die Finger warm zu halten. Andreas kämpft sich Stück für Stück nach oben. Die Schlüsselpassage im oberen Teil scheint durch die kühlen Bedingungen entspannter zu gehen als sonst, der Zug in den Schlitz gelingt knapp, aber er gelingt. Anfeuerungsrufe setzen ein. Es ist Sonntag und trotz der Temperaturen ist die Höhle voller Kletterer. Geht es wieder kopfüber abwärts?

abindhammer_novena_12Noch sieht alles kontrolliert und flüssig aus. Gleich kommt der Untergriff, Ende des bisher besten Versuchs. Der Körper kippt nach hinten – aber dieses Mal ist die Hand an der Zange. Es geht weiter…! An den zwei besten Griffen im oberen Teil der Route versucht Andreas nun seine Fingerspitzen für die letzten Meter wieder auf Betriebstemperatur zu bringen. Die darauf folgende, kleingriffige und sichtbar athletische Passage erfordert nochmals volle Konzentration.

Etwa fünf Minuten dauert es bevor Andreas loslegt. Alles sieht gut aus. Er verschwindet über der Kante. Wenig später enden wieder die Anfeuerungsrufe. Dieses Mal mit einem kaum hörbaren, erleichterten Jubelschrei von weit oben. Applaudierende Rufe außerhalb der Höhle gefolgt von einem Hupkonzert der vor der Kälte in ihre Autos geflüchteten Kletterer signalisieren, dass es geschafft ist. Der Marathon durch das Höhlendach hat ein Ende…!

Interview mit Andreas Bindhammer

Gratulation zu dieser großartigen Leistung! Ist La Novena Enmienda nur eine weitere Route auf deiner Liste oder was hat dich an der Route fasziniert?

Ich habe mich dieses Jahr fast ausschließlich mit kurzen Routen mit maximal 15 Metern Länge und Bouldern beschäftigt. Ich wollte endlich wieder „richtig“ klettern. Da kamen mir Oliena oder Santa Linya in den Sinn. In letzterem Gebiet war ich bereits 2006 für zwei Tage und fand die Routen durch dieses riesige Dach enorm beeindruckend. Normalerweise bevorzuge ich ja Routen mit Maximalkraftausdauer-Charakter, bis zu 40 Züge lang, ohne echte Ruhepunkte. Ich glaube, ich wollte einfach mal wissen wie es sich anfühlt, eine 55m lange Route mit fast 120 Zügen zu klettern…

abindhammer_novena_10Und – wie fühlt es sich an?

Ich war wirklich überrascht. Anfangs hat es mich enorm gestresst überhaupt einzusteigen in Anbetracht der fast halbstündigen Kletterzeit. Das lag daran, dass ich mich an den Ruhepunkten nicht wohlgefühlt habe und ständig voll angespannt war. Irgendwann kam dann der Punkt, dass ich mich am Ruhepunkt wirklich ausruhen konnte, entspannt war und fühlte, wie die Kraft wieder zurück kam.Man sieht dann beim Einsteigen nicht mehr eine halbe Stunde Kletterzeit und die gesamte Kletterstrecke, sondern nur die Teilroute bis zum nächsten Ruhepunkt, auf die man sich voll und ganz konzentrieren kann. Dort erholt man sich und konzentriert sich auf den nächsten Teil. Irgendwie war’s als würde ich vier schwere Routen hintereinander klettern, mit kurzen Pausen dazwischen. Beim Durchstieg war ich ehrlich gesagt nur mit einer Sache beschäftigt: nicht auszukühlen und das Gefühl in meinen Fingern zu bewahren…

Worin siehst du die Schwierigkeiten der Route? Was macht ihren Charakter aus?

Ihre Länge macht die Route wirklich einzigartig. Sie ist vom Einstieg weg schwer und auch die allerletzten Züge erfordern volle Konzentration. Die Schwierigkeit liegt darin, eine gute Ausdauergrundlage zu haben, um sich an den Ruhepunkten erholen zu können und dennoch genügend Maximalkraft für die Boulderpassagen. Das hat mir anfangs schwer zu schaffen gemacht.

Die Route war ja ursprünglich als 9a+/b bewertet. Inzwischen hat sie sich als 9a+ etabliert. Wie siehst du die Schwierigkeit von La Novena Enmienda in Bezug auf andere Routen, die du schon geklettert bist?

Durch ihre enorme Länge und Steilheit kann man die Route eigentlich mit keiner meiner bisherigen Wiederholungen oder Erstbegehungen vergleichen. Am ehesten noch mit La Rambla, die aber nicht ganz so steil ist. Die Anstrengung, die notwendig ist, eine dieser Routen zu klettern, ist in etwa vergleichbar. Somit sollte die Bewertung mit 9a+ nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sein, zumal auch internationale Größen wie Chris Sharma, Patxi Usobiaga und Edu Marin diese Bewertung bestätigt haben. Trotz der vielen hochkarätigen Besucher, die die Höhle von Santa Linya regelmäßig frequentieren, hat die Route bisher gerade mal eine Hand voll Wiederholungen. Damit steht jedenfalls fest, dass sich das Niveau der Route im 9a-Bereich bewegen dürfte.

In Spanien gibt es inzwischen eine enorme Anzahl an 9a-Routen, während sie bei uns in Deutschland an einer Hand abgezählt werden können. Wird dort leichter bewertet oder was verursacht diese Entwicklung?abindhammer_novena_06

Meiner Erfahrung nach wird in Gebieten mit höherer Dichte an Routen in den oberen Schwierigkeitsgraden härter eingestuft als in Gebieten, in denen nur wenige schwere Routen existieren. Der Grund für die enorme Anzahl an Routen im 9a-Bereich in Spanien ist hauptsächlich ein Resultat der besseren Voraussetzungen. Während sich bei uns überwiegend kleine Massive von bis zu 15m Höhe mit bis zu 20 Routen finden, findet sich in Spanien oft konstant überhängendes Gelände mit bis zu 50m Höhe und teilweise mehreren 100m Breite. Dazu kommen ganzjährig trockene Verhältnisse. Vor allem in den Wintermonaten gibt es häufig perfekte Bedingungen. Viele Kletterer aus der Weltspitze sind dort regelmäßig über einen längeren Zeitraum am Fels aktiv, so dass die Entwicklung in den spanischen Klettergebieten natürlich entsprechend schneller voranschreiten kann als anderswo.

Wie erreicht man das Niveau 9a klettern zu können? Gibt es dafür eine bestimmte Trainingsmethode oder ist es eine bloße Talentfrage?

Es ist sicher eine Kombination aus beidem. Ein talentierter Kletterer ohne Trainingsdisziplin wird keine sportlichen Höchstleistungen bringen. Genauso wird jemand, der permanent „mit der Brechstange“ vor sich hin trainiert ohne unterschiedliche Trainingsreize zu setzen und sich mit neuen Bewegungsaufgaben zu konfrontieren auf Dauer keinen Erfolg haben. Talent kann also einerseits bedeuten von Grund auf mit einem guten Bewegungsgefühl oder einem guten Kraftniveau gesegnet zu sein, andererseits kann es auch die Fähigkeit sein, für bestimmte Zielsetzungen die optimale Trainingsform zu finden und diese konsequent umzusetzen und so seinen Körper an die spezifischen Anforderungen anzupassen. Beides kann einem ermöglichen 9a zu klettern.

Spielt auch die mentale Komponente eine Rolle, um Höchstleistungen am Fels zu bringen?

Sicher spielt sich ein großer Teil der Aufgabe im Kopf ab. Sich nicht zu sehr unter Druck setzen, sich kleine, auf die jeweiligen Bedingungen angepasste Zwischenziele stecken wären hier zwei Ansätze. Bei meinen Versuchen in La Novena Enmienda war es beispielsweise an einem warmen oder feuchten Tag schon ein großer Erfolg, den ersten Teil klettern zu können und im oberen Teil 2-3mal zu hängen. Wer nur bei besten Bedingungen antritt, weil er sonst mit den Rückschlägen nicht klar kommt, wird vermutlich nie in den Bereich der persönlichen Höchstleistung vordringen und sich selbst ausbremsen. Im Grunde ist das Wichtigste, das Optimum aus der aktuellen Situation herauszuholen und dabei den Spaß am Klettern nicht zu verlieren.

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Du hast einmal auf die Frage, was du als deinen bisher größten Erfolg betrachtest geantwortet, es sei der Umstand Beruf und Klettern in Einklang gebracht zu haben. Wie funktioniert dieses Gleichgewicht?

Im Grunde ist es ein Kompromiss: der Tagesablauf ist aufgeteilt zwischen Beruf und Sport: Vormittags arbeiten, nachmittags trainieren/klettern, abends wieder arbeiten. Die Arbeitszeit beansprucht 8-10 Stunden täglich, die Zeit für den Sport etwa 4-6 Stunden. Egal ob ich unterwegs bin oder zu Hause. Ein Tag ohne Internetanschluss ist dadurch leider nahezu undenkbar und würde für mich enorme Einbußen bedeuten. Ein Kompromiss, mit dem ich leben kann , da er mir trotz der permanenten Belastung große Flexibilität ermöglicht.

Wie sehen deine Pläne in nächster Zeit so aus?

Bisher habe ich noch keine konkreten Pläne. Mal sehen, was sich so ergibt. Ab Dezember ist erst einmal Wintertraining angesagt. Vielleicht werde ich danach dem spanischen Fels mal wieder einen Besuch abstatten…

Andreas Bindhammer wird von folgenden Firmen unterstützt:

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Text: Andreas Bindhammer / kletterszene.com Fotos: Frank Kretschmann

    Text: Kletterszene
  • Beitragsdatum 30. November 2009